Eine gnadenlose Abrechnung mit unserem Bildungssystem

„Das Schulsystem ist dafür konzipiert, Gehorsamkeit und Konformität zu lehren. Und dafür, die natürlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder zu verhindern.“

Noam Chomsky

Dieser Artikel ist sehr lang, da ich eine Menge an Kritik an unserem momentanen Bildungssystem habe. Ich bin der Meinung, dass es längst veraltet ist, die Kreativität und Potenziale der Schüler vergeudet und die wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich Lernen und Entwicklung komplett ignoriert.

Wenn man bestimmte Dinge oder Standards mit schlechteren vergleicht, merkt man, wie gut man es hat. Von diesem Standpunkt aus bleibt man jedoch oft auf der Stelle stehen und bewegt sich nicht nach vorne. Wenn man bestimmte Dinge oder Standards damit vergleicht, wie sie sein könnten, dann kann man Kritik ausüben und Fehler finden. Nur von diesem Standpunkt aus ist man in der Lage, die Dinge zu verbessern.

Ich werde nun also kurz anmerken, dass es echt gut ist, dass wir überhaupt ein Schulsystem haben, für das wir auch dankbar sein können.

Aber wenn es uns in der Zukunft gut gehen soll, dann ist es an der Zeit, unser marodes Bildungssystem grundlegend umzustrukturieren. Wir können die neuen Generationen mit den überholten Bildungsmethoden des 19. Jahrhunderts nicht auf das 21. Jahrhundert vorbereiten.

Die Zukunft eines Landes hängt davon ab, wie gut es dem Land gelingt, seine Kinder auf die Zukunft vorzubereiten. Deshalb hängt an der Diskussion um das Bildungssystem viel mehr als nur die Schule. Es geht um die Zukunft unseres Landes.

Und wir können uns es nicht leisten, das wichtigste Potenzial, das wir haben, länger so maßlos zu zerstören: die Kreativität, Entdeckerfreude, Begeisterung und Lust am Lernen der Kinder. Wir nehmen ihnen diese Anlagen und im Austausch dafür erhalten sie einen Abschluss.

Der Abschluss wird aber in Zukunft nichts mehr wert sein. Es machen immer mehr Leute weltweit Abschlüsse, vor allem in Asien. Und irgendwann bald wird der Punkt kommen, ab dem Abschlüsse nichts mehr wert sind. Was man dann benötigt, um einen Job zu bekommen und Erfolg im Arbeitsleben zu haben, sind die Dinge, die man in der Schule verloren und gegen einen später wertlosen Abschluss eingetauscht hat.



Wenn ein Schüler Abitur macht, hat er circa 100.000 Stunden in der Schule verbracht. Was bleibt davon über?

Wenn die Schule ein Wirtschaftsunternehmen wäre, dann wäre dieses schon längst pleite.



Wenn man auf die Welt kommt, dann besitzt man die Fähigkeit, sich für Dinge zu begeistern. Die Eigenschaft, die mich an kleinen Kindern so begeistert, ist die, sich für jeden noch so kleinen Fussel begeistern zu können.

„Immer wenn man sich für etwas begeistert, und dem Gehirn ist egal für was, dann werden sogenannte neuroplastische Botenstoffe ausgeschüttet. Diese wirken wie Dünger auf das Gehirn.“

Gerald Hüther

Diese neuroplastischen Botenstoffe bieten die einzige Möglichkeit für uns, etwas nachhaltig zu lernen. Und das hat nichts mit dem Alter zu tun. Die Gabe der Neuroplastizität besitzt jeder Mensch, egal wie alt er ist.

Jedoch ist der einzige Weg, die Ausschüttung dieser Botenstoffe zu provozieren, die emotionalen Zentren im Gehirn zu aktivieren. Das heißt, etwas muss einem, damit man es sich merkt und damit daraus lernt, unter die Haut gehen.

(Das ist auch der Grund, warum wir uns an emotionale Erlebnisse aus unserer Grundschulzeit sehr viel besser erinnern können, als an den Stoff aus der 3. Klasse.)

Jedes Kind wird einem gewaltigen und unersättlichen Appetit, zu lernen geboren. Bei Kindern ist das Entdecken und Gestalten noch mit großer Lust verbunden. So werden die Gehirnregionen für das Entdecken und Gestalten mit den Emotionen der Lust und der Freude verknüpft. Das löst sich alles auf, wenn wir beginnen, sie zu unterrichten.

Die Schule sorgt aber vor allem dafür, dass das Lernen nicht mehr mit Begeisterung geschieht. Von Entdecken kann kaum und nur sehr selten die Rede sein. Unsere Schulen sorgen dafür, dass der Stoff und die Schule von den Schülern mit negativen Gefühlen wie Angst, Druck, Unwohlsein und Ohnmacht verknüpft wird. Die einmal erfahrenen Verbindungen von Entdecken und Freude werden überdeckt.

Auf dieser Basis kann man sich nicht weiterentwickeln. Und man kann auch nicht lernen.



Die Schüler werden wie Objekte gesehen, welche man nach einem bestimmten, vorgegebenen und standardisierten Muster formen will. Das sorgt dafür, dass die individuellen Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten nicht nur ignoriert, sondern sogar unterdrückt werden.

In der Zeit, in der das Bildungssystem entstanden ist, hat man gebildete Bürger nicht gebraucht. Man brauchte objektisierte Menschen, die funktionieren, die das tun, was man ihnen befiehlt und gut benutzbar sind. Man wollte keine Bevölkerung, die entweder von sich aus gebildet oder nicht nach Vorschrift gebildet ist.

Dieses Konzept ist menschenverachtend und muss verworfen werden!

In einer Zukunft, in der wir die unterschiedlichen Potenziale der Kinder so sehr brauchen werden wie nie zuvor, pressen wir sie immer noch durch ein Bildungssystem, das darauf ausgelegt ist, Menschen zu produzieren, die produzieren. Die Kinder werden zu lustlosen Pflichterfüllern.

„Je länger Kinder in der Schule sind, desto weniger neugierig, motiviert, begeisterungsfähig, kreativ, leidenschaftlich und fähig zu träumen werden sie.“

-The Future Project

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Der Grund, warum so viele Schüler heutzutage nach der Schule aufgeschmissen sind und nicht wissen, was sie in ihrem Leben machen wollen, ist auch unserem Bildungssystem zuzuschreiben. Man beschäftigt sich in der Schulzeit kaum mit seiner Zukunft und mit dem, was man wirklich will, was einen wirklich interessiert. Es gibt Berufsmessen, bei denen Firmen schon früh versuchen, die Schüler abzuwerben. Für mehr sind die Messen aber nicht zu gebrauchen. Vor allem nicht für eine individuelle Förderung.

Wenn man 12 Jahre lang mit Stoff zugedröhnt wird, dann hat man keine Zeit, sich mit dem zu befassen, was einen interessiert. Und am Ende weiß man nicht, was man will.



In der Schule geht es die meiste Zeit darum, etwas schon vorformuliertes wiederzugeben oder vorgeschriebene Ziele auf einem ganz genau definierten Weg zu erreichen.

Wenn ein Referendar Lehrer werden will, dann muss er einen Unterricht nach Vorschrift machen. Er muss eine genaue, fast minütliche Unterrichtsplanung vorlegen, in welcher die Antworten der Schüler schon stehen. Er arbeitet dann auf schon vorher festgelegten Antworten hin. Die Schüler müssen all ihre Intelligenz nun dafür verwenden, herauszufinden, worauf der Referendar hinaus will.

Wenn man eine vorgeschriebene Aufgabe so genau wie möglich erfüllen soll, dann wird auf die Potenziale geschissen. Sie werden nicht nur ignoriert, sondern auch unterdrückt.

Zudem kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass man das meiste, was man in der Schule und auch im Abitur gelernt hat, sehr schnell wieder vergessen wird. Es war ja auch größtenteils irrelevanter und langweiler Stoff. Dieser wurde dann für die Klausuren gepaukt, in den Klausuren ausgekotzt und danach vergessen. (sogenanntes „Bulimielernen“.)

Das ist der Grund, warum langfristig nichts hängen bleibt. Aber diese Art des „Lernens“ hat viele negative Nebeneffekte: sie zerstört Kreativität, lässt die Kinder die Schule hassen und sorgt dafür, dass kaum ein Kind einen wirklichen Sinn in der Schule sieht. Die Kinder können das, was sie in der Schule lernen, nicht mit Bedeutung füllen.

Meiner Meinung nach, muss es die Aufgabe der Schule sein, die naturgegebenen und diversen Potenziale in den Kindern zu entdecken und zu fördern. Die Schule muss die Anlagen aufblühen lassen anstatt zu versuchen, die Kinder von ihren individuellen Gleisen abzubringen, um sie alle auf einem standardisierten Gleis zu versammeln.

Um das zu erreichen, muss sich allerdings wirklich alles ändern.

Aber alles geht in die Richtung der Standardisierung, was man zum Beispiel am Zentralabitur, an den festgelegte Lernplänen, am Druck und an der Beschränkung der Freiheiten der Lehrer sieht.



Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt, dass jedes Kind auf seine eigene Art und Weise hochbegabt sei. Was er damit meint, ist, dass jedes Kind individuelle Stärken und Bereiche hat, für die es sich begeistern kann.

Wir belegen nun aber ganz bestimmte Bereiche (wie z.B. die Naturwissenschaften und Mathematik) mit dem Konzept der Begabung. Aber man braucht nicht nur diese Fähigkeiten, um sich später im Leben zurecht zu finden und vor allem ist die Begabungsebene sehr viel breiter als die, die uns in der Schule vorgehalten wird.

„Jeder ist begabt! Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben lang denken, er wäre dumm.“

-Albert Einstein

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Die Schule sorgt dafür, dass sehr viele brilliante, hochtalentierte und kreative Kinder denken, sie wären es nicht, weil die Dinge, die sie gut können, in der Schule nicht gewertet werden und sie in den gewerteten Dingen versagen.

Es gibt noch sehr viele andere Begabungen in kleinen Kindern wie z.B. eine genaue Körperkontrolle, ein außergewöhnliches Maß an Mitgefühl oder besonderen Ehrgeiz.

Die Aufgabe der Schule kann es nicht sein, all diese Kinder gleich zu machen.

Wir vermischen den bunten Haufen unserer Kinder zu einem kackbraun. Und wir bestrafen in der Schule diejenigen, die ihre individuellen Potenziale versuchen zu erhalten, weil sie aus der Reihe tanzen und wir belohnen diejenigen, die sich am besten angepasst haben.

Und außerdem, wenn sich alle an das anpassen, was Durchschnitt und gefordert ist, an das, was verlangt wird: Standardisierung. Gleichförmigkeit. Konformität. In was für einer Gesellschaft landen wir dann?

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Unser Bildungssystem sorgt dafür, dass die Kreativität der Kinder skrupellos verschleudert wird.

Das besondere an Kinder ist, dass sie, auch wenn sie sich nicht sicher sind, einfach machen. Sie haben keine Angst davor, falsch zu liegen. Das ist unser natürliches Verhalten. Warum sollte man auch eine angeborene Angst davor haben, falsch zu liegen?

Die Angst davor, falsch zu liegen, ist anerzogen und sorgt dafür, dass wir die Fähigkeit, kreativ zu sein, verlieren.

Falsch zu liegen und kreativ zu sein ist nicht dasselbe. Aber wenn man nie darauf vorbereitet wird, dass Fehler normal, menschlich und in Ordnung sind, dann wird man großartige Ideen im eigenen Kopf immer wieder selbst klein schreien, anstatt sie auszusprechen. In der Angst davor, falsch zu liegen.

Wenn die Kinder zu Erwachsenen geworden sind, haben fast alle die unfassbar wertvolle Fähigkeit der Kreativität verloren. Sie haben Angst davor, falsch zu liegen.

In der Schule prangern wir Fehler an wie nichts anderes. Fehler sind das schlimmste, was man in der Schule machen kann. Wir bilden die Kinder aus ihrer natürlichen Fähigkeiten der Kreativität heraus.

„Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener ein Künstler zu bleiben.“

-Pablo Picasso

Noch eine Sache, um zu verstehen, wie uns Kreativität im Laufe der Bildung abhanden kommt, ist einen Blick auf das „Divergent Thinking“ („außeinanderlaufendes Denken“) zu werfen.

Divergent Thinking ist eine wichtige Fähigkeit für Kreativität. Es beschreibt die Fähigkeit, viele verschiedene Möglichkeiten zu sehen. Möglichkeiten, ein Ziel zu erreichen, eine Frage zu beantworten oder zu interpretieren. Die Fähigkeit, mehrere Antworten zu sehen und nicht nur eine.

Beispielhaft ist ein Experiment, in dem die gleichen Kinder in verschiedenen Altersstufen immer wieder im Divergent Thinking getestet wurden.

Eine Frage aus diesem Test könnte zum Beispiel sein „Wie viele Verwendungsmöglichkeiten kannst du dir für eine Büroklammer vorstellen?“. Die meisten Leute würden nach einiger Zeit wahrscheinlich so auf 10 – 15 Möglichkeiten kommen. Leute, die gut darin sind, würden auf 200 kommen, in dem sie sich zum Beispiel vorstellen, eine Büroklammer als Messingstatue in der New Yorker Innenstadt zu platzieren.

In diesem Test wurde man als Genie im Divergent Thinking eingestuft, wenn man eine bestimmte Anzahl von Möglichkeiten erreichte.

Kindergartenkinder (3 – 5 Jahre alt): 98% Geniequote.

8 – 10 jährige Kinder: 32% Geniequote.

13 – 15 jährige Kinder: 10% Geniequote.

(andere Erwachsene über 25 Jahren: 2% Geniequote.)

Wir haben alle diese Kapazitäten und Fähigkeit, aber sie verkommen mit der voranschreitenden Bildung. Wenn man 10 Jahre tagtäglich in einem Umfeld ist, in dem es nur eine einzige Antwort gibt, die entweder hinten im Buch oder im Bewertungsraster des Lehrers steht und sich immer nur danach richtet, dann verschwindet diese Kapazitäten. Sie wird nicht gefördert, sondern sogar boykottiert.



Sir Ken Robinson merkte an, dass jedes Schulsystem auf dieser Welt die gleiche Rangfolge von Fächern hat.

  1. Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen
  2. Gesellschaftswissenschaften
  3. Kunst und Musik
  4. Theater und Tanz

„Es gibt kein Bildungssystem auf diesem Planenten, dass Kinder täglich genauso im Tanzen unterrichtet wie in der Mathematik. Warum? Warum nicht? Mathematik ist sehr wichtig, aber das gleiche gilt für Tanz auch. Kinder tanzen die ganze Zeit, wenn sie dürfen, wir alle tun das.“

-Sir Ken Robinson

Auf der Skala sind die nützlichsten Fächer, um einen Job zu bekommen, ganz oben. Viele Kinder werden, in gutmütiger Absicht, von den Dingen, die sie mögen, weggesteuert. Der Grund dafür ist, dass sie mit den Dingen, die sie mögen, wohl niemals einen Job bekommen würden.

„Nein, mach keine Musik. Du wirst kein Musiker werden.“

Nein, konzentriere dich lieber nicht auf Kunst. Davon kann man nicht leben.“

In den Künsten geht es vor allem um ästhetische Erfahrungen, in welchen die Sinne auf einem Maximum arbeiten, man den jetzigen Moment vollkommen fühlt, man mit dem, was man gerade sieht oder tut, resoniert. Wenn man sich vollkommen lebendig fühlt. Es geht um den Status des Flow.

Im Moment gehen wir in den Schulen aber in die genau andere Richtung.

Eine anästhetische (Anästhetikum = Betäubungsmittel) Erfahrung ist eine, in der man seine Sinne abschaltet und sich abgestumpft dem unterwirft, was gerade passiert. Und genau so drücken wir viele unserer Kinder durch die Schule.

Immer mehr abgelenkte Kinder bekommen Ritalin und andere Betäubungsmittel, damit sie sich überhaupt auf die Schule konzentrieren können.

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Diese Statistik umfasst den Konsum von Betäubungsmittel in England (und nur von 2004 an. Früher war der Konsum wesentlich geringer!)

Wir leben im stimulierensten Zeitalter der Menschheitsgeschichte. Die Kinder werden mit Millionen von Informationen und Stimuli überschüttet, sie befinden sich in einem Modus der konstanten Ablenkung. Ihre Gehirne werden durch das Internet zerstört. Und wir bestrafen diese Kinder dafür, dass sie sich nicht auf den langweiligen Stoff in der Schule fokussieren können, betäuben sie mit Betäubungsmitteln und pressen sie durch die Schule. Dabei sollten wir genau das Gegenteil tun.

Wir sollten sie nicht einschläfern. Wir sollten sie und ihren innersten Talente aufwecken. Wir sollten ihre Potenziale entdecken und herausfinden, woran sie mit Leidenschaft arbeiten können.



Unser Bildungssystem ist teuer. Sehr teuer.

Wie teuer ist es, wenn ein Kind in der Schule seine Lust am Lernen verliert und dann keine Lust mehr hat, einen Beruf zu ergreifen? Wenn es sich dann später vielleicht dem Alkohol zuwendet? (Von dem individuellen versauten Leben möchte ich gar nicht erst anfangen.)

Das sind alles Folgekosten, die wir noch nicht durchgerechnet haben, Folgekosten, derer sich die meisten gar nicht bewusst sind. Potenzial und Geld werden verschleudert.

Ich behaupte, dass aber nicht nur ein Kind in der Klasse seine Lust am Lernen verliert. Es ist mindestens immer ein Drittel der Klasse, das später dann aber trotzdem durch gesellschaftlichen Druck dazu gezwungen wird, eine Arbeit zu ergreifen, die nicht erfüllend sein kann.

5-10% der Schüler (je nach Region) verlassen die Schule ohne irgendeinen Abschluss. Die meisten davon werden später Hartz IV-Empfänger.

Wenn man diese Leute gefördert hätte und ihnen Chancen gegeben hätte, sich zu entwickeln, dann müsste man sich nicht später um die Verteilungsgerechtigkeit kümmern.

Chancengleichheit und die Förderung eines jeden Kindes, unabhängig davon, was auch immer sein individuelles Potenzial sein mag, beugt späteren Ungleichheiten vor. Und die sozialen Ungleichheiten in unserem Land steigen immer weiter. Zudem leben wir auch in einem Land, in dem die spätere soziale Situation auch sehr stark davon abhängig ist, wo wir geboren werden.

Laut „Zeit“ leben 21% der Kinder in Deutschland „dauerhaft oder wiederkehrend in Armutslagen“. Dabei ist Deutschland das Land mit dem vierthöchsten BIP, eines der reichsten Länder der Welt. Nur wird das Vermögen nicht vernünftig verteilt. Diese Verteilungsfrage wäre sehr viel weniger relevant, wenn in den Schule alle gefördert werden würden und man sich wegen der vergeudeten Potenziale nicht so viele Sorgen um die Zukunft der Kinder machen müsste.



Was muss sich ändern?

„Bildung ist nicht etwas, das am Ende dann eventuell erfolgreich war – oder auch nicht. Bildung ist etwas, das passiert. Bildung kann höchstens gelingen. Bildung kann man nicht machen, man kann höchstens einen Rahmen geben, in dem Bildung gelingt.“

-Gerald Hüther

Durch die lernpsychologischen und neurobiologischen Erkenntnisse der letzten Jahre (und sogar schon Jahrzehnte und Jahrtausende) wissen wir, wie man Bildung durchführen sollte. Und, wie man Bildung nicht durchführen sollte. Alle unsere Methoden sind veraltet.

Kinder sind keine Fässer, die man füllt und irgendwann ist das Fass dann voll. Bildung ist Anleitung zur Selbstbildung. Erst, wenn ich selbst lernen kann, dann findet ein Bildungsprozess statt.

„Education is not the filling of a bucket, but the lightning of a fire.“

-William Butler Yeats

Es gibt Schulen, an denen sich die Schüler den Stoff gemeinsam erarbeiten. Dort verstehen sich die Lehrer als „Potenzial-Entfaltungs-Coaches“ und versuchen nicht, den Schülern etwas beizubringen, sondern einen Rahmen zu schaffen, in dem Schüler plötzlich ein Interesse entwickeln, sich den Stoff selbst zu erschließen.

Lern- und Potenzialentfaltungsprozesse vollziehen sich immer in Gruppen. Gemeinsam zu arbeiten ist wie Nährboden für das eigene Wachstum. Man kann aber kein Gefühl für die eigenen Möglichkeiten entwickeln, wenn man nicht in einer Gruppe dazu beiträgt, mit anderen gemeinsam etwas zu erarbeiten, zu entdecken oder zu gestalten.

Was in der Schule „abschreiben“ heißt, nennt man außerhalb „Zusammenarbeit“. Wenn wir die Leute voneinander trennen und einzeln bewerten, dann entsteht eine Art Trennung zwischen ihnen und ihrer natürlichen Lernumgebung.

Wir wissen zudem nicht, wofür wir unsere Kinder bilden wollen. Wir bilden sie aber hauptsächlich, indem wir sie dazu zwingen, sich Wissen anzueignen, was sie schnell wieder vergessen werden.

Zu einer guten Bildung gehört allerdings sehr viel mehr, als sich nur Wissen anzueignen. Emotionale Bildung und das Erfahren des gegenseitigen Miteinanders sollten auch ein Bildungsbereich sein. Man sollte auch lernen, eine gute Beziehung zu seinem eignen Körper und Geist herzustellen und man sollte lernen, sich selbst nicht zu hassen. Und noch viel mehr.

Zum Lernen gehört auch nicht nur ein Kopf, den wir so formen, wie es vorgegeben ist, sondern immer auch ein Körper. Wir wissen, dass man nach und mit Bewegung sehr viel schneller lernt, aber wir zwingen unsere entdeckerfreudigen, neugierigen und energiegeladenen Kinder dazu, den halben Tag still und stumm auf einem Stuhl zu sitzen, während die Lehrer versuchen, ihnen Wissen einzutrichtern. Das muss sich auch ändern. Bewegung und Bildung müssen verknüpft werden. Wir dürfen die Kinder in ihrer natürlichen und begeisterten Entdeckerfreude nicht beschränken, sondern müssen diese fördern und so lange aufrechterhalten, wie es nur möglich ist!

Außerdem gibt es Kinder, dessen individuelles Potenzial in der Bewegung, im Körper, und nicht im Stillsitzen liegt. Manche Kinder sind begabter mit ihren Köpfen. Aber man darf nicht alle in einen Topf schmeißen und sie nur nach dem einen Kriterium beurteilen.

Auch die Annahme, Menschen könnten ohne Gefühle lernen, ist falsch. Das funktioniert nicht, wie oben erklärt.

„Wir lernen, wenn wir mit etwas oder jemanden in Beziehung treten. Dies wird als Muster im Gehirn gespeichert. Durch diese Beziehungen bauen Kinder Strukturen im Gehirn auf, mit deren Hilfe sie sich dann in der Welt zurechtfinden.“

-Gerald Hüther

Man kann aber nur dann etwas nachhaltig und neu vernetzen, wenn es einen emotional berührt.

Zensuren sollte man nicht abschaffen. Kinder wollen eine Form der Rückmeldung, das ist völlig in Ordnung. Man darf diese Zensuren aber nicht als Selektionskriterium für den Rest des Lebens verwenden. Auch darf kein Druck mit Zensuren ausgeübt werden. Zensuren sollten nur als Rückmeldungen über den gegenwärtigen Stand dienen.

Ich glaube aber nicht, dass wir ein Wissensdefizit haben. Wir wissen, was falsch ist und haben auch die Experten, die uns sagen, was man besser machen muss.

Wir haben ein Umsetzungsdefizit. In der Bevölkerung ist es zu leise. Man bräuchte eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die die Politiker dazu zwingt, einen Rahmen für eine andere Art von Schule zu schaffen. Und beginnen tut das immer auf der untersten Ebene: in den Kommunen.

„Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“

-Victor Hugo


Quellen:

must see: TED Talk von Ken Robinson „Do schools kill creativity?“

must see: Ken Robinson „Changing Education Paradigms“

Großartiger Dialog zwischen Richard David Precht und Gerald Hüther über das Bildungssystem!

über Bulimielernen

Länder sortiert nach BIP

Zeit: Thema soziale Ungleichheit

Zeit: Herkunft ist ausschlaggebend für sozialen Stand

Ken Robinson über Leidenschaft

TED Talk von Ken Robinson „Bring on the Learning Revolution“

The Future Project