unser Gehirn – Neuroplastizität

Werfen wir einen weiteren Blick hinter die Kulissen unseres Gehirns.

 

Über sehr lange Zeit nahmen Gehirnforscher an, dass sich das Gehirn nur weiterentwickelt, bis der Wachstumsprozess abgeschlossen ist. Sie dachten, dass das Gehirn danach nur verkommt und immer schwächer wird, dies aber die einzige Änderung am Gehirn sei. Aber dieses Konzeption ist so weit von der wirklichen Funktionsweise des Gehirns entfernt wie der Pluto von der Sonne.

Unser Gehirn ist formbar, wie eine Knetmasse. Es ändert sich je nach unserem Verhalten und der Umgebung, in der wir uns befinden. Und viele sind sich nicht bewusst, wie kraftvoll diese Formbarkeit ist.

Hier sind drei Beispiele.

Ihr habt bestimmt schon davon gehört, dass die Gehirnregionen, die für die Koordination von Daumen zuständig sind, immer weiter wachsen. Das liegt daran, dass der Daumen einfach viel häufiger genutzt wird. Diese Gehirnregionen wachsen aber nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen.

Londoner Taxifahrer, welche, um ihre Lizenz zu bekommen, die Karte von London auswendig kennen müssen, haben größere Gehirnregionen, die dem räumlichen Erinnern gewidmet sind.

In einer Behandlungsgruppe waren mehrere Patienten, welche alle einen Schlaganfall erlitten hatten. Bestimmte Bereiche ihres Gehirns waren so beschädigt, dass sie eine ihrer Hände nicht mehr kontrollieren und nicht mehr vernünftig bewegen konnten. Die Doktoren, welche das Prinzip der Neuroplastizität kannten, versuchten eine neue, alternative Behandlungsweise. Sie stülpten den Patienten einen Ofenhandschuh über die funktionierende Hand und befestigten diesen mit Panzertape, sodass die Patienten gezwungen waren, die nicht funktionierende Hand zu benutzen. Nach vielen verzweifelten Anläufen fingen ihre Gehirne an, sich als Reaktion auf ihr Verhalten zu verändern. Ihre Gehirne gestalteten sich selbst um und sorgten dafür, dass andere Gehirnregionen nun lernten, die sonst nicht funktionierende Hand zu benutzen.


Das Gehirn passt sich an das, was wir tun, an. Das Überleben einer Spezies ist sehr viel wahrscheinlicher, wenn man ein formbares Gehirn hat. Ein Gehirn, dass sich an die lokalen Anforderungen anpassen kann, die je nach Umfeld unterschiedlich sind und die sich im Laufe des Lebens eines Individuums auch verändern können, ist unfassbar machtvoll. Die Evolution hat uns ein großes Gehirn geschenkt, was sich selbst verändern kann. Immer und immer wieder.


Man kann sich das menschliche Gehirn wie eine große Stadt vorstellen, durch das permanent Autos fahren. Die Autos repräsentieren die elektrischen Signale, welche durch unser Gehirn laufen. Quasi unsere Gedanken.

Grundlage dieser Stadt sind Trilliarden von fleißigen Arbeitern, welche die Straßen permanent verändern. Je mehr Autos auf einer Straße fahren, desto stärker wird sie ausgebaut. Und wenn auf einmal kaum mehr Autos auf dieser Straße fahren, wird sie verkleinert.

Manche Straßen, auf denen die Autos fahren, sind große Autobahnen. Das sind unsere Gewohnheiten. Aber man kann auch eine kleine Abzweigung nehmen, zum Beispiel einen schnelleren Weg. Dieser wird sich dann, wenn man ihn oft genug fährt, auch in eine Autobahn verwandeln. So etabliert man zum Beispiel eine neue Gewohnheit. (Man kann es sich auch so vorstellen, dass ein Trampelpfad zu einem gepflasterten Weg wird.)

Unsere Gehirne verändern sich konstant und immer, in jeder Sekunde, mit jedem Gedanken, den wir haben. Die Straßen ändern sich mit jedem Sinneseindruck, mit jeder Bewegung, jeder Assoziation, jedem Belohnungssignal und jedem Verlust und Wiedergewinn unserer Aufmerksamkeit.


Gewohnheiten

Je öfter wir also etwas tun, desto besser werden wir darin. Man kann sagen, dass ein gewisser „Gewohnheits-Druck“ herrscht. Das Gehirn versucht die ganze Zeit über, häufig ausgeführte Aktionen in Gewohnheiten zu transformieren. Zuerst einmal werden die Schaltkreise (beziehungsweise Straßen) in unserem Gehirn mit jeder Aktivierung stärker.

Das Gehirn ist immer auf der Suche nach Wegen, um Energie zu sparen. Und Gewohnheiten sind dafür super, wenn man kann Aktionen wie Schlüssel nehmen, Tür zuziehen, Treppe hinuntergehen, Haustür öffnen, ins Auto steigen, Sitzgurt anlegen und Auto anschalten in dem Schaltkreis „aus dem Haus gehen“ zusammenfassen.

Mit jeden Tag, an dem wir eine Dinge tun, wird die Gewohnheit stärker, bis ein Schaltkreis entsteht. Und wenn ein starker Schaltkreis entstanden ist, will das Gehirn auch, dass er genutzt wird. Dieser starke Schaltkreis ist nun der Weg mit dem niedrigsten Widerstand.

Je stärker und größer wir einen Schaltkreis werden lassen, desto schwieriger wird es, ihn wieder abzubauen, seine Stärke umzukehren.


Das Gehirn kann jedoch nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten unterscheiden. Schlechte Angewohnheiten werden mindestens genau so schnell, meistens sogar schneller als gute Angewohnheiten in unser Gehirn integriert.

Viele Süchte werden auch immer ausgeprägter, weil die Schaltkreise, welche für das Verhalten zuständig sein, stärker werden. Gewisse Stoffe wie Dopamin (auch in kleinen Mengen) werden ausgeschüttet und tragen dazu bei, dass ein Schaltkreis verstärkt wird, in dem sie für ein Verlangen oder ähnliches sorgen.

Hier ist ein Beispiel.

Wenn ich mein Handy benutze und über einen Feed scrolle, werden die ganze Zeit kleine Schübe von Dopamin ausgeschüttet. (Dazu in einem späteren Artikel mehr.) Diese Schübe sorgen dafür, dass ein Verlangen entsteht. Das Verlangen nach etwas Interessantem. Das Verlangen, immer weiter zu scrollen. Durch dieses Verlagen wird der Schaltkreis öfter als sonst durchlaufen und dadurch, dass er öfter durchlaufen wird, entsteht eine Gewohnheit schneller. Eine Straße wird zur Autobahn.

 

Also wissen wir jetzt, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, mit dem, was wir tun. Denn alles, jede Sekunde, jede Aktion verändert die Funktionsweise unseres Gehirns. Es lohnt sich, gegen schlechte Angewohnheiten vorzugehen und anstatt dessen gute Angewohnheiten zu etablieren.


Quellen (leider alle auf Englisch):

TED-Talk über Neuroplastizität

„The Brain that changes itself“ von Norman Doidge

„The Shallows“ von Nicolas Carr

Abschnitt aus What I’ve Learned Video

Wikipedia über Neuroplastizität